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Fachartikel zum Thema: Kopfschmerzen – Besonderheiten bei der Beratung

von Eva Bahn, PTA des Jahres 2021

Kopfschmerzen – Besonderheit bei der Beratung 

Es klingt so einfach, wenn ein Patient in die Apotheke kommt und „nur“ nach einem Medikament gegen Kopfschmerzen verlangt. Dabei ist die Beratung zu dem Thema durchaus komplex. Fast jeder Mensch leidet gelegentlich unter Kopfschmerzen, die von verschiedenen Ursachen herrühren können. Zu den häufigsten Kopfschmerzformen gehören sicherlich der Spannungskopfschmerz und die Migräne, seltener sind der Cluster-Kopfschmerz, der Zervikogene Kopfschmerz, Schmerzen aufgrund einer Trigeminus-Neuralgie und der medikamenteninduzierte Kopfschmerz. Diese Unterscheidung zu treffen und auch die Unterschiede zu erkennen, ist in der Beratung sehr wichtig. Denn danach entscheidet das pharmazeutische Personal, ob der Patient die Beschwerden in Eigenverantwortung behandeln kann oder ob er zu einem Arzt weitergeschickt werden muss.

Eine Selbstmedikation ist nicht möglich, wenn es sich um einen Cluster-Kopfschmerz handelt. Cluster-Kopfschmerz ist ein starker, meist über einem Auge lokalisierter Schmerz, der episodisch über mehrere Wochen mehrmals täglich auftritt. Auch, wenn der Patient über einen Dauerkopfschmerz oder Nackensteifigkeit klagt, sollte er einen Arzt aufsuchen. Zudem gehörenSchmerzen nach einem Unfall in die Hand des Arztes, besonders wenn sie noch mit Übelkeit oder Erbrechen einhergehen. Wer einen Verdacht auf arzneimittelbedingte Kopfschmerzen, Influenza oder einen Glaukomanfall hat, sollte den Kunden ebenfalls direkt weiterschicken. Auch sind Kopfschmerzen bei Patienten, deren Nieren- oder Leberfunktion stark eingeschränkt ist – wie es beispielsweise bei Dialysepatienten der Fall ist – nichts für die Selbstmedikation.

Individuelle Situation erfassen

Die maßgeblichen Informationen erhält man vom Patienten immer am besten durch offene Fragen. Diese könnten beispielsweise lauten:

  • „An welcher Stelle sitzt denn der Schmerz?“ So erfährt man Genaueres über die Lokalisation und eine möglicherweise vorhandene Seitenbetonung, was auf eine Migräne hindeutet.
  • „Seit wann leiden Sie denn unter den Schmerzen?“ oder „Wie häufig leiden Sie denn unter Kopfschmerzen?“ Ob der Kopfschmerz akut ist oder gar über mehrere Tage oder Wochen andauert oder häufiger als 15 Tage im Monat auftritt, ist wichtig für das Ausloten der Grenzen der Selbstmedikation.
  • „Gibt es Begleitsymptome?“ Lichtscheu, Lärmempfindlichkeit, Aura, Übelkeit, Sehstörungen wie etwa ein eigeschränktes Sichtfeld, Schwindel oder Nackensteifigkeit entscheiden ebenfalls über die Frage nach dem passenden Wirkstoff oder dem Weiterschicken zu einem Arzt.
  • „Waren Sie aufgrund der Kopfschmerzen bereits in ärztlicher Behandlung?“ Möglicherweise liegt eine ärztliche Diagnose vor.
  • „Nehmen Sie zurzeit noch andere Medikamente ein?“ Diese Frage ist wichtig, denn bei der Einnahme unter anderem von ACE-Hemmern, Antidepressiva, Calciumantagonisten, Nitraten, Alpha-2-Agonisten, Parkinsonmedikamenten, Angiotensin-II-Antagonisten, Antiepileptika, Virustatika, Zytostatika oder Immunsuppressiva muss mit Neben- oder Wechselwirkungen gerechnet werden.
  • „Liegen Vorerkrankungen vor?“ Bei Hypertonie, Glaukom, Asthma oder starken Allergien, gastroduodenaler Ulkuskrankheit, Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa sowie bei stark eingeschränkter Nieren- und/oder Leberfunktion sind so manche Medikamente aus dem Bereich der Selbstmedikation tabu. Auch in der Schwangerschaft darf übrigens nicht jedes Analgetikum gegeben werden.

Für die Selbstmedikation  geeignet sind  vor allem Spannungskopfschmerzen und Migräne. Dies zu erkennen, ist nach dem Stellen der oben genannten Fragen meist nicht schwierig. Spannungskopfschmerzen äußern sich eher als dumpfer, drückender oder ziehender, schwach bis mäßig ausgeprägter Schmerz, der beidseitig lokalisiert ist. Er wird meist durch Stress, einen Wetterwechsel, Alkohol- und Nikotinmissbrauch oder eine zu geringe Trinkmenge ausgelöst, hat keine Begleitsymptome und bessert sich bei Bewegung etwas. Der Grund für den Schmerz ist vermutlich eine Störung der körpereigenen Schmerzweiterleitung. Ist das Reizleitungssystem überlastet, dann verbraucht es Dopamin und Serotonin, die eigentlich Neuroimpulse filtern sollen. So werden Schmerzimpulse fälschlicherweise vom System weitergeleitet, die im Normalzustand vom Körper durch diese Transmitter festgehalten werden. Migränepatienten berichten dagegen von einem meist einseitig lokalisierten, pulsierenden Schmerz, der mit Übelkeit, Lärm- und Lichtscheu einhergeht. Eine Migräne ist, anders als der spannungsbedingte Kopfschmerz, eine neurobiologisch bedingte Störung des Gehirns, der Hirnhaut und der betreffenden Blutgefäße. Hier wird ein bestimmter Bereich im Hirnstamm aufgrund einer gesteigerten Aktivität von Nervenzellen verstärkt durchblutet. Das erklärt auch die gesteigerte Empfindlichkeit auf äußere Reize wie Geräusche, Licht oder Gerüche.

Spannungskopfschmerzen behandeln

Beim spannungsbedingten Kopfschmerz kommen verschiedene Wirkstoffe zur Anwendung, teilweise auch in Kombination. In der Apotheke werden vorwiegend Acetylsalicylsäure (ASS), Ibuprofen, Paracetamol, Diclofenac und Naproxen empfohlen. Je nach Vorerkrankung des Patienten kann man entscheiden, welches Medikament am besten geeignet ist. Asthmatiker sollten beispielsweise – keine nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) einnehmen. Diese Arzneistoffe, zu denen auch ASS, Ibuprofen, Diclofenac und Naproxen gehören, hemmen bestimmte Enzyme, die sogenannten Cyclooxygenasen, und werden daher auch COX-Hemmer genannt. Asthmatiker, besonders diejenigen mit allergischem Asthma reagieren auf diese Analgetika-Gruppe in manchem Fällen mit einem akuten Asthmaanfall. Patienten mit kardiovaskulären Vorerkrankungen sollten Diclofenac meiden, Kinder unter 12 Jahren dürfen kein ASS einnehmen, das bei ihnen das „Reye-Syndrom“ – eine potenziell lebensbedrohliche Erkrankung von Gehirn und Leber – auslösen könnte. Patienten, die Blutgerinnungshemmer anwenden oder die ohnehin unter Blutungen im gastrointestinalen Bereich leiden, sollten auf NSAR generell verzichten. Wer Barbiturate, Antiepileptika oder Rifampicin einnehmen muss, sollte kein Paracetamol anwenden, da hier eine Enzyminduktion droht, die schwere Leberschäden nach sich ziehen kann. Eine mögliche Alternative ist 10%‑ige ethanolische Pfefferminzöl-Lösung. Aufgetragen auf Stirn und Schläfen hat sie bei Spannungskopfschmerzen laut Aussage der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin den gleichen Effekt wie 1000 Milligramm Paracetamol oder Aspirin.

Einen besonders schnellen Wirkeintritt zeigen ASS, das bereits nach 15 Minuten die Schmerzen wirksam beeinflusst, und Ibuprofen als Lysinsalz. Auch die Kombination von Analgetika mit Coffein beschleunigt und verstärkt die schmerzlindernde Wirkung.

Die Einzeldosis liegt für ASS bei 500 Milligramm, für Paracetamol bei 500 bis 1000 Milligramm und für Ibuprofen gilt eine Einnahme von 200 bis 400 Milligramm als sinnvoll.  Die Schmerzlinderung ist hier im Gegensatz zur entzündungshemmenden Wirkung zwischen der Gabe von 400 zu 600 Milligramm nicht signifikant höher.

Analgetika und Migränemittel

Für Migränepatienten stellen ASS und Ibuprofen bei leichten bis mittelschwere Beschwerden die Mittel der ersten Wahl dar. Die empfohlene Dosierung liegt bei ASS etwas höher als bei spannungsbedingtem Kopfschmerz, nämlich bei 900 bis 1000 Milligramm, was zwei (Kau)-Tabletten oder zwei Portionen eines Granulates entspricht. Auch Brausetabletten sind mit 400 Milligramm Wirkstoff pro Einheit auf dem Markt. Sie sind etwas niedriger dosiert, wirken aber dafür schneller, da sie gelöst aufgenommen werden. Bei Ibuprofen bleibt die Empfehlung von 400 Milligramm Wirkstoff in der Einzeldosis bestehen. Eine besonders gute Wirkung attestieren verschiedene Studien der Kombination aus ASS (250 oder 265 mg), Paracetamol (200 oder 265 mg) und Coffein (50 oder 65 mg). Bei sogenannten „Non-Respondern“ auf NSAR kann man in der Beratung inzwischen auch verschiedene Triptane empfehlen, sofern die Patienten die Migränediagnose im Vorfeld ärztlich abgeklärt haben. Apothekenpflichtige Triptane wie Almotriptan, Sumatriptan oder Naratriptan sind im eigentlichen Sinne keine Schmerzmittel. Sie wirken, indem sie die zentrale Schmerzweiterleitung unterbrechen und die erweiterten Blutgefäße wieder verengen. Dadurch wird der Migräneanfall beendet. Diese gefäßverengende Wirkung ist allerdings auch der Grund, warum Triptane bei Menschen, die bereits einen Schlaganfall oder einen Herzinfarkt hatten oder unter Angina pectoris oder Durchblutungsstörungen leiden, nicht eingenommen werden dürfen. Von dieser Medikamentengruppe sollten nicht mehr als zwei Tabletten innerhalb von 24 Stunden eingenommen werden. Sie wirken am besten, wenn sie sofort nach dem Schmerzeintritt angewendet werden. Wer zu kürzeren und heftigen Attacken neigt, der ist mit Sumatriptan oder Almotriptan besser beraten, die besonders schnell, aber dafür etwas weniger lange wirken. Bei erfahrungsgemäß lang andauernden Episoden oder ausgeprägter Übelkeit ist dagegen Naratriptan das Mittel der Wahl. Triptane sollte man nicht miteinander kombinieren. Wer nach der Einnahme eines solchen Wirkstoffes noch immer nicht ganz schmerzfrei ist, kann zusätzlich auf Naproxen zurückgreifen.

Was sonst noch hilft

Um einer Kopfschmerzattacke vorzubeugen, empfiehlt sich – sowohl gegen Spannungskopfschmerz als auch gegen Migräne – Bewegung an der frischen Luft oder auch progressive Muskelentspannung. Ein regelmäßiger Schlafrhythmus kann so manchem Migräneanfall vorbeugen. Viele Menschen neigen zu Kopfschmerzen aufgrund von Unterzuckerung oder einer zu geringen Trinkmenge. In diesem Fall ist es anzuraten, die Mahlzeiten wie auch die Aufnahme von Getränken gleichmäßig über den Tag zu verteilen. Prophylaktisch hilft einigen Patienten die Einnahme von Magnesium oder B-Vitaminen, um die Häufigkeit der Migräneanfälle zu minimieren.

Um herauszubekommen, welcher Kopfschmerz-Typ vorliegt und ob vielleicht auch bestimmte Nahrungsmittel oder Lebenssituationen eine Attacke auslösen, ist es sinnvoll, wenn die Patienten über mehrere Wochen lang ein Kopfschmerz-Tagebuch führen. In diesem notieren sie, wann sie wie lange geschlafen haben, was gegessen und wieviel getrunken wurde und welche Besonderheiten den Tag über aufgetreten sind. Hier kann ebenfalls beschrieben werden, was geholfen hat bzw. welches Medikament oder welche andere Maßnahme wirkungslos war. Zudem hilft es dabei, den Überblick zu behalten, wie oft man im Monat auf die Einnahme von Tabletten angewiesen war.

Wenn Kopfschmerzpatienten sehr  häufig Analgetika oder Triptane einnehmen, kann sich ein sogenannter Medikamentenübergebrauch-Kopfschmerz entwickeln. Das heißt, die Kopfschmerzen werden durch die Kopfschmerzmittel ausgelöst. Übergebrauch ist bei Triptanen und Kombinationsanalgetika definiert als eine Einnahme an 10 oder mehr Tagen pro Monat, bei den oben genannten Schmerzmitteln lautet die Definition 15 oder mehr Tagen pro Monat. Berichtet der Patient über einen solch hohen Gebrauch, sollte er an einen Arzt verwiesen werden.

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